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Warum Frauen und Männer anders krank sind.

Gender – diesen Begriff kennen viele nur aus den Diskussionen über geschlechtergerechte Sprache. Auch in der Gendermedizin und der Genderpharmazie spielt die Unterscheidung zwischen den Geschlechtern eine wichtige Rolle.

Von Ines Goetsch

Symbolbild für Gendermedizin. Portraitcollage mit multiethnischen Männern und Frauen auf farbigem Hintergrund.
Foto von shutterstock_2056523312

Ein 65-jähriger Mann geht zum Arzt. Er verspürt Engegefühle und stechende Schmerzen im linken Brustkorb, die in den linken Arm ausstrahlen. Eine 40-jährige Frau leidet unter starken anhaltenden Rückenschmerzen, einem verspannten Kiefer und klagt über Übelkeit und Atemnot. Die Symptome des Mannes können auch viele medizinische Laien einer Krankheit zuordnen: Er hat vermutlich einen Herzinfarkt. Interessant ist: Die Frau in diesem Beispiel hat auch einen Infarkt. Bei den Beschwerden und dem Alter der Patientin kommt nicht jeder gleich auf die richtige Idee. Auch nicht jeder Arzt und jede Ärztin, denn Gendermedizin wird an den Universitäten nicht gelehrt.

Die Geburt der modernen geschlechtersensiblen Medizin – so wird Gendermedizin heute eher bezeichnet – fand Ende der 1980er-Jahre in den USA statt. Dort wurde die amerikanische Kardiologin Marianne Legato erstmals auf Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Herzpatienten aufmerksam. Ende der 1990er-Jahre erlebte die medizinische Fachwelt „einen Schock“, als eine USA-Studie mit fast 400.000 Patienten und Patientinnen zeigte, „dass die Sterblichkeit infolge von Herzinfarkten bei jüngeren Frauen deutlich höher war als bei gleichaltrigen Männern“, erinnert sich die deutsche Pionierin für Gendermedizin, Prof. Dr. Vera Regitz-Zagrosek, in einem WDR-Fernsehbeitrag 2021. [1]WDR-Doku „Unsere Medizin ist für Männer gemacht“, ursprünglich: „HER Story (1/4) Lebensgefahr – Frauen und Medizin, Min. 08.00, gesendet 2021, seit Ende September 2022 nicht mehr in der … Continue reading Sie wurde später erste Professorin für Frauenspezifische Gesundheitsforschung mit Schwerpunkt Herzkreislauf-Erkrankungen und leitete bis 2019 das von ihr gegründete Institut für Geschlechterforschung in der Medizin (GIM) an der Charité in Berlin.

Gendermedizin: Frauen und Männer brauchen unterschiedliche Therapien

Schwarz-Weiß-Aufnahme von Gertrud Stadler, Professorin für Genderforschung. Expertin für Gendermedizin. Portrait einer Frau, die lächelnd in die Kamera schaut.

Mittlerweile sind Unterschiede in zahlreichen medizinischen Bereichen bekannt. Prof. Dr. Gertraud Stadler, Leiterin des Instituts für Geschlechterforschung in der Medizin (GIM) an der Charité, erklärt: „Es geht dabei nicht nur um Frauengesundheit. Und Genderfragen sind auch kein reines Frauen- oder Männerthema. Besonderheiten bei beispielsweise intersexuellen oder nonbinären Menschen werden noch zu wenig berücksichtigt. Wir müssen die Erkenntnisse auf allen Ebenen berücksichtigen, also nicht nur in der Diagnostik und Therapie, sondern auch schon in der gesundheitlichen Prävention.“

Von den Erkenntnissen der Gendermedizin könnten viele profitieren: Dass Brustkrebs die häufigste Tumorerkrankung bei Frauen ist, wissen viele. Dass allerdings auch Männer an ihr erkranken können, ist weniger bekannt. Die Folge davon ist, dass der männliche Brustkrebs häufig erst in einem späten Stadium entdeckt wird. Ob Herz- oder Nierenerkrankungen, Depressionen, Autoimmun- oder Krebserkrankungen, Frauen und Männer erkranken anders – und benötigen oft unterschiedliche Therapien.

Farb-Aufnahme von Dirk Keiner. Apotheker in der Genderpharmazie. Experte für Gendermedizin. Portrait eines Mannes mit Brille, der lächelnd in die Kamera schaut. Im Hintergrund sind verschwommen Regale zu sehen.

Dr. Dirk Keiner, Chefapotheker am Hufeland Klinikum Weimar, beschäftigt sich seit vielen Jahren mit medizinischen Unterschieden bei den Geschlechtern. Er erklärt: „Lange Zeit galt etwa Osteoporose als typische Frauenkrankheit nach der Menopause. Doch von den mehr als acht Millionen Deutschen, die an der Skeletterkrankung leiden, sind etwa ein Drittel Männer – Tendenz steigend.“ Der Unterschied: Frauen haben meist die hormonell bedingte „primäre“ Osteoporose. Die sekundäre Form als Folge anderer Erkrankungen oder deren Behandlung tritt vermehrt bei Männern auf. [2]s.a. Dr. Dirk Keiner, Pharmazeutische Zeitung 22.6.2016 Nr. 25/2016

Gene, Hormone und die Folgen 

Viele kennen die groben biologische Unterschiede: Männer sind durchschnittlich größer und schwerer als Frauen, auch die Organe sind unterschiedlich groß. Männer haben mehr Muskelmasse, Frauen einen höheren Wasseranteil im Körper. Und auch die Fettverteilung in männlichen und weiblichen Körpern ist unterschiedlich. 

Etwas komplizierter wird es auf der Ebene der genetischen Unterschiede – und hier kommt das X-Chromosom ins Spiel. In den Zellen von Männern sind jeweils ein X- und ein Y-Chromosom, bei den Frauen sind zwei X-Chromosomen. Auf den X-Chromosomen befinden sich die allermeisten Gene, die die lebenswichtigen Organe und auch das Immunsystem beeinflussen. Dadurch erklärt sich, warum das Immunsystem bei Frauen in der Regel stärker ist. Frauen profitieren davon, dass potenziell zwei Varianten von Immunzellen zur Verfügung stehen. Das hat Vorteile, wenn es etwa um die Abwehr von Infektionen geht – tatsächlich haben Frauen eine durchschnittlich bessere Immunabwehr – aber auch Nachteile: Frauen leiden häufiger als Männer unter Autoimmunerkrankungen wie beispielsweise der chronischen Schilddrüsenerkrankung Hashimoto oder Multipler Sklerose.

Und dann sind da noch die hormonellen Unterschiede: Frauen bilden verstärkt Östrogen, Männer mehr Testosteron. Auch sie beeinflussen zahlreiche Körperfunktionen und -prozesse. Das höhere Östrogen bei Frauen bis zur Menopause gilt auch als mitverantwortlich für die bessere Immunabwehr – und begründet, weshalb es die „Männergrippe“ tatsächlich gibt – als stärkere Krankheitserscheinung bei Infekten.

„Sex“ und „Gender“ 

Neben den biologischen Unterschieden der Geschlechter („sex“) gibt es noch die Unterscheidung des soziokulturellen Geschlechts („gender“). Ob wir gesund sind oder erkranken, entscheidet sich auch an unserem Verhalten im Alltag, also ob wir rauchen, wie wir uns ernähren und inwieweit wir uns um unsere Gesundheit kümmern und etwa Präventionsangebote wahrnehmen. Bekanntes Beispiel: Rauchende riskieren eher als Nichtrauchende an Lungenkrebs zu erkranken. Weil in früheren Jahrzehnten die meisten Raucher Männer waren, tritt diese Tumorerkrankung zurzeit bei älteren Männern viel häufiger auf. 

Geschlechtersensible Medizin – Thema an Universitäten?

Ende 2021 führte die Redaktion der WDR-Sendung „Planet Wissen“ mit zwei Medizinstudierenden an der Universität Münster ein Experiment durch: Schauspielerinnen und Schauspieler treten mit gespielten Krankheitssymptomen auf. Sie simulieren die Symptome eines Herzinfarktes. Der männliche Darsteller beschreibt ein starkes Engegefühl in der Brust mit Ausstrahlung in den linken Arm, die Frau klagt über anhaltende Verspannungen, Übelkeit und Luftnot. Die Diagnose beim Mann fällt beiden Studierenden leicht, seine Symptome können sie rasch zuordnen. Bei der Frau kommen beide ins Grübeln. Der Medizinstudent tippt schließlich auf ein Burn-out. Seine Kommilitonin kommt der Wahrheit etwas näher und vermutet bei beiden eine Angina Pectoris, eine vorrübergehende Durchblutungsstörung des Herzens.

[3]https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2022/12/PD22_544_23211.html [4]https://www.herzstiftung.de/service-und-aktuelles/presse/pressemitteilungen/frauen-herzgesundheit-geschlechterunterschiede [5]https://www.herzstiftung.de/herzstiftung-und-forschung/forschung-und-foerderung/forschungsprojekte/frauen-herzinfarkt 

In einem zweiten Test spielen die Schauspieler die Symptome einer Altersdepression. Hier zeigt der Mann nicht die für diese Erkrankung typischen Symptome wie Antriebslosigkeit und Traurigkeit, sondern wirkt gereizt und fahrig und gibt zu, öfter Alkohol zu trinken. Die Medizinstudierenden tun sich auch hier mit der Diagnose schwerer und tippen unter anderem auf eine Demenz. [6]Medizin und Geschlecht: So unterscheiden sich Symptome und Therapien , Planet Wissen, WDR Folge 1181, 3.12. 2021, Experimente ab 00:10:05 und 00.39:30, … Continue reading „Depressionen und psychosomatische Erkrankungen werden bei Frauen eher erkannt als bei Männern“, bestätigt Gertraud Stadler, und auch die Eigenwahrnehmung der Betroffenen täusche oft: „Auch das muss bei der Diagnostik berücksichtigt werden!“

Was dieses Experiment an der Universität Münster beispielhaft zeigt: Das vorhandene Wissen über Unterschiede bei den Geschlechtern ist bis heute längst nicht in allen Köpfen. Auch nicht in den Köpfen vieler Medizinerinnen und Mediziner – und es ist nicht ausreichend Thema in der Ausbildung dieser Berufsgruppe

2020 erschien ein Gutachten im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums. Untersucht wurde, inwieweit das Wissen über geschlechtsspezifische Aspekte bei Erkrankungen in den Lehr- beziehungsweise Ausbildungskonzepten an Universitäten und Ausbildungsstätten in medizinischen und pflegerischen Berufen integriert ist. Das Ergebnis für den Bereich der Humanmedizin lautete im Kurzbericht des Gutachtens: „Bei 70,4 % der medizinischen Fakultäten ist die Vermittlung von geschlechtersensiblem Wissen als unzureichend zu bezeichnen, da hier nur punktuell in einzelnen Lehrveranstaltungen auf die Geschlechterunterschiede aufmerksam gemacht wird. Obwohl ein Großteil der befragten Studiendekan*innen geschlechtersensible Inhalte in der medizinischen Lehre als relevant erachtet, ist eine nachhaltige strukturelle Integration bisher nur in wenigen Fakultäten gegeben“. [7]Kurzbericht: „Aktueller Stand der Integration von Aspekten der Geschlechtersensibilität und des Geschlechterwissens in Rahmenlehr- und Ausbildungsrahmenpläne, Ausbildungskonzepte, Curricula und … Continue reading

Gertraud Stadler erläutert: „Es gibt bis heute nur zwei Professuren an medizinischen Fakultäten. In Berlin gibt es die einzige Vollprofessur, in Bielefeld eine 50-Prozent-Stelle.“ Dies, meint Stadler, müsse vorrangig geändert werden: „Was nicht institutionell angebunden istkann nicht nachhaltig Strukturen verändern.“ 

Ein Problem ist die unterschiedliche Arzneimittelverträglichkeit. Es treten mehr Nebenwirkungen bei Frauen auf. Außerdem bekommen Frauen mehr inadäquate Arzneistoffe verordnet als Männer.

Dr. Dirk Keiner, Chefapotheker am Hufeland Klinikum in Weimar

Gender und Pharmazie

Frauen und Männer erkranken nicht nur unterschiedlich, sie brauchen auch andere Therapien. Biologisch bedingt wirken Arzneimittel in weiblichen Körper häufig anders. Auch hier wirken sich genetische und hormonelle Unterschiede aus.

Durch den meist höheren Körperfettanteil bei Frauen gegenüber Männern werden etwa fettlösliche Arzneimittel im weiblichen Körper eher gespeichert als im männlichen. Ein anderes Beispiel: Frauen haben in der Regel kleinere Nieren. Das bedeutet: Medikamente werden langsamer verstoffwechselt und Narkosemittel wirken bei ihnen häufig länger als bei Männern. Vergleicht man geschlechterspezifische Unterschiede bei der Einnahme von Opioiden, so haben mehrere Studien gezeigt, dass Frauen deutlich weniger davon benötigen, bis ein schmerzstillender Effekt eintritt. Neue Erkenntnisse deuten zudem darauf hin, dass Frauen anders auf Schmerzreize reagieren als Männer. Mutmaßlich hat es damit zu tun, dass die Schmerzverarbeitung im menschlichen Rückenmark bei den Geschlechtern unterschiedlich abläuft. [8]Werz, Oliver: Gendermedizin. Der kleine Unterschied. Warum Schmerzmittel bei Frauen anders wirken als bei Männern. In: … Continue reading

„Ein bekanntes Problem ist auch die unterschiedliche Arzneimittelverträglichkeit“, sagt Dirk Keiner, „es treten mehr Nebenwirkungen bei Frauen auf und sie erleiden stärkere Einbußen in ihrer Lebensqualität. Außerdem bekommen Frauen mehr inadäquate Arzneistoffe verordnet als Männer. Das konnten wir anhand einer Studie zur Medikamentenkompetenz in der Geriatrie zeigen.“ Und auch bei Apothekerinnen und Apothekern sei das Wissen über geschlechtersensible Medizin noch längst nicht flächendeckend bekannt, dabei könnten sie eine wichtige Funktion in der Aufklärung der Patienten vor Ort wahrnehmen.

Dirk Keiner sieht auch noch großen Verbesserungsbedarf in der Lehre. Inwieweit Studierende der Pharmazie davon erführen, hinge sehr stark vom Universitätsstandort ab, erklärt der Chefapotheker: „Die Studierenden in Jena bekommen einen kleinen Einblick in das Thema, das ist aber noch die Ausnahme.“

Männliche Mäuse und der Gender-Data-Gap

Als „Gender-Data-Gap“ wird die Lücke bezeichnet, die dadurch existiert, dass bei zu wenigen Studien die Geschlechterunterschiede der Probanden miterfasst werden. Hier spielen männliche Mäuse eine Rolle. Bei der Entwicklung von Arzneimitteln werden Wirkstoffe vorher in verschiedenen Studien erprobt. Dabei kommen, vor der Verwendung bei menschlichen Patientinnen und Patienten, Versuchstiere wie etwa Mäuse zum Einsatz. Bis in die 1990er-Jahre wurden dafür aber nur männliche Mäuse verwendet. Der Grund: Weibliche Mäuse haben, wie weibliche Menschen, mehr hormonelle Schwankungen – zum Beispiel bei der Menstruation, in der Schwangerschaft oder nach der Menopause. Und das beeinflusst die Wirksamkeit von Medikamenten und die Untersuchungsergebnisse. Auch die Wirksamkeitsstudien mit menschlichen Patienten wurden bis zu den 2000er-Jahren nur mit Männern gemacht – in der weit verbreiteten Ansicht, die so gewonnen Ergebnisse seien ohne weiteres auf Frauen übertragbar.[9]s. WDR-Doku (Quelle 1) ab 33:22

Das gilt auch für den Bereich der Pharmazie. „Erst 2004 wurde in Deutschland das Arzneimittelgesetz angepasst, um Unterschiede, aber auch Gemeinsamkeiten bei der medikamentösen Therapie von Frau und Mann zu ermitteln“, erläutert Dirk Keiner, „und erst seit 2022 ist es in der EU verpflichtend, bei der Arzneimittelforschung eine Geschlechterauswertung vorzunehmen.“ [10]12. Arzneimittelgesetz-Novelle (2004) und EU-Verordnung Nr. 536/2014

Eine Datenlücke gebe es aber bis heute auch bei wissenschaftlichen Veröffentlichungen, erklärt der Apotheker: „Die Autorenvorgaben bei Publikationen halte ich für die effektivste Maßnahme, um die Datenbasis sicherer zu machen!“ Es müsste zwingend vorgeschrieben werden, dass bei jeder Studie Unterschiede bei den Geschlechtern mituntersucht und genannt werden. Gertraud Stadler hat 2022 mit einem Team an ihrem Institut dazu einen umfassenden Katalog mit konkreten Vorschlägen entwickelt („Diversitäts-Minimal-Item-Set“).[11]Erfassung von Geschlecht und anderen Diversitätsbereichen in Deutschland, in: Diversified Innovations in the Health Sciences: Proposal for a Diversity Minimal Item Set (DiMIS), Deutsche Fassung ab … Continue reading

Gendermedizin: In Zukunft selbstverständlich?

Wird der konsequente Blick auf die Unterschiede bei den Geschlechtern zukünftig selbstverständlich werden? In der Allgemeinbevölkerung scheint das Interesse an diesem Thema zu wachsen: Im März 2022 veröffentlichte die Betriebskrankenkasse Pronova BKK die Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage mit 1000 Teilnehmenden. Dort heißt es: „Die überwiegende Mehrheit der Deutschen ist sich der geschlechterspezifischen Unterschiede bei Erkrankungsrisiken, Symptomen oder Wirksamkeit von Medikamenten bewusst.“ Acht von zehn Deutschen wünschten sich mehr Informationen, wie sich Krankheitssymptome bei Männern und Frauen unterscheiden. Ebenso hoch sei der Anteil derer, die sich von ihrem Arzt beziehungsweise ihrer Ärztin deutliche Hinweise wünschen, wenn bei einem Medikament unklar ist, ob es bei ihnen genauso wirkt wie bei einem Menschen anderen Geschlechts. Und nur jeder Dritte wurde bislang über eine unterschiedliche Wirkung von Medikamenten bei Männern und Frauen von dem Arzt oder der Ärztin aufgeklärt. [12]Pressemitteilung der pronova BKK v. 1.3.2022: https://www.pronovabkk.de/presse/pressemitteilungen/studie-deutsche-wuenschen-sich-beachtung-von-genderunterschieden-in-der-medizin.html

Das bleibt auch in der Politik nicht unentdeckt. Im Koalitionsvertrag der regierenden „Ampel“-Parteien heißt es auf Seite 88: „Wir berücksichtigen geschlechtsbezogene Unterschiede in der Versorgung, bei Gesundheitsförderung und Prävention und in der Forschung und bauen Diskriminierungen und Zugangsbarrieren ab. Die Gendermedizin wird Teil des Medizinstudiums, der Aus-, Fort- und Weiterbildungen der Gesundheitsberufe werden.“ [13]Mehr Fortschritt wagen, Koalitionsvertrag 2021-2025 zwischen SPD, Bündnis90/Die Grünen und FDP

Die Genderexpertin aus Berlin und der Experte aus Weimar sind vorsichtig optimistisch, dass Genderaspekte zukünftig eine größere Rolle in Medizin und Pharmazie spielen: „Ich registriere, dass sich in den Ärztekammern etwas tut“, sagt Chefapotheker Dirk Keiner, „und auch in der Fort- und Weiterbildung der Apothekerkammern finden sich immer häufiger Genderaspekte. Es ist wichtig, sein ganzes Berufsleben up to date zu sein – denn das Geschlecht des Patienten darf nicht zum Gesundheitsrisiko werden!“

Gendermedizinerin Gertraud Stadler setzt große Hoffnung in den medizinischen Nachwuchs: „Wir stellen ein enormes Interesse der nachrückenden Generation bei jungen Studierenden und Kolleginnen und Kollegen fest!“ Das werde in den nächsten Jahren etwas bewirken, ist sich die Berliner Professorin sicher.

Foto: shutterstock_2056523312
Foto: Gertraud Stadler/Charité Isabel Machado Rios
Foto: Dirk Keiner/Thomas Müller


Weitere Informationen und Quellen

Die XX-Medizin, Das Gesundheitsbuch für Frauen, Prof. Dr. med. Vera Regitz-Zagrosek u. Dr. med. Stefanie Schmid-Altringer, Scorpio 2020

Interview mit Prof. Dr. Bettina Pfleiderer zum Thema Geschlechtersensible Medizin: Gleiche Krankheit – unterschiedliche Symptome (Podcast v. 3.1. 2022): https://www.uni-muenster.de/kommunikation/podcast/2021/20211213_pfleiderer.html

Gendermedwiki, eine 2016 von Prof. Dr. Bettina Pfleiderer initiierte Datenbank, die Fachwissen zum Einfluss des Geschlechts bei Erkrankungen und Therapien bündelt / Kooperationsprojekt der medizinischen Fakultäten Münster, Duisburg-Essen, Innsbruck und dem GECKO-Institut für Medizin, Informatik und Ökonomie der Hochschule Heilbronn: https://gendermedwiki.uni-muenster.de 

Deutsche Gesellschaft für geschlechtsspezifische Medizin (DGesGM): Die DGesGM setzt sich für die Förderung der Geschlechterforschung, die Umsetzung der Forschungsergebnisse in die medizinische Praxis und die Vermittlung der Forschungsergebnisse an Öffentlichkeit, Politik, Behörden und Einrichtungen der Gesundheitsversorgung ein: https://www.dgesgm.de/

Kompetenzzentrum für geschlechtersensible Medizin an der Medizinische Hochschule Hannover mit einem vierteljährlich erscheinenden Newsletter https://www.mhh.de/kompetenzzentrum-fuer-geschlechtersensible-medizin-1

Quellen:

Quellen:
1 WDR-Doku „Unsere Medizin ist für Männer gemacht“, ursprünglich: „HER Story (1/4) Lebensgefahr – Frauen und Medizin, Min. 08.00, gesendet 2021, seit Ende September 2022 nicht mehr in der ARD-Mediathek, abrufbar auf YouTube: https://www.youtube.com/watch?v=xDPkByl00dE
2 s.a. Dr. Dirk Keiner, Pharmazeutische Zeitung 22.6.2016 Nr. 25/2016
3 https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2022/12/PD22_544_23211.html
4 https://www.herzstiftung.de/service-und-aktuelles/presse/pressemitteilungen/frauen-herzgesundheit-geschlechterunterschiede
5 https://www.herzstiftung.de/herzstiftung-und-forschung/forschung-und-foerderung/forschungsprojekte/frauen-herzinfarkt
6 Medizin und Geschlecht: So unterscheiden sich Symptome und Therapien , Planet Wissen, WDR Folge 1181, 3.12. 2021, Experimente ab 00:10:05 und 00.39:30, https://www.planet-wissen.de/sendungen/sendung-gendermedizin-100.html
Mitwirkende bei den Experimenten war auch die Gendermedizin-Expertin und Chemikerin Prof. Dr. Bettina Pfleiderer, Ärztin und Leiterin der Forschungsgruppe „Cognition & Gender“ am Institut für Klinische Radiologie in Münster, die auch den https://gendermedwiki.uni-muenster.de" target="_blank" rel="noreferrer noopener">Gendermedizin-Wiki initiierte. (https://gendermedwiki.uni-muenster.de/)
Die Kardiologin und Pionierin der geschlechtersensiblen Medizin in Deutschland, Dr. Vera Regitz-Zagrosek erklärt im ARD-Bildungskanal alpha Unterschiede beim Herzinfarkt von Frauen und Männern und die Auswirkungen bei der Medikation: https://www.br.de/fernsehen/ard-alpha/sendungen/campus/talks/gendermedizin-therapien-mann-frau-regitz-zagrosek-vera100.html
7 Kurzbericht: „Aktueller Stand der Integration von Aspekten der Geschlechtersensibilität und des Geschlechterwissens in Rahmenlehr- und Ausbildungsrahmenpläne, Ausbildungskonzepte, Curricula und Lernzielkataloge für Beschäftigte im Gesundheitswesen“: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/service/publikationen/details/aktueller-stand-der-integration-von-aspekten-der-geschlechtersensibilitaet-und-des-geschlechterwissens-in-rahmenlehr-und-ausbildungsrahmenplaene-ausbildungs-konzepte-curricula-und-lernzielkataloge-fuer-beschaeftigte-im-gesundheitswesen.html
Anmerkung der Redaktion der Apothekerkammer Niedersachsen: Es gibt viele Möglichkeiten gendersensibel zu texten. Im genannten Kurzbericht des Gutachtens wird der Genderstern verwendet. Die Apothekerkammer Niedersachsen setzt an solchen Stellen üblicherweise einen Doppelpunkt.
8 Werz, Oliver: Gendermedizin. Der kleine Unterschied. Warum Schmerzmittel bei Frauen anders wirken als bei Männern. In: https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/daz-az/2013/daz-36-2013/der-kleine-unterschied
Uhlig, Annemarie Dr med: Sprechen Männer und Frauen unterschiedlich auf eine Schmerztherapie mit Opioiden an? Ergebnisse einer Metaanalyse. In: Der Urologe. Ausg. A; Heidelberg Bd. 59, Ausg. 7, (Jul 2020): 835-838. DOI:10.1007/s00120-020-01247-0; https://www.urologenportal.de/fileadmin/MDB/redakteure/schmidt/Weiberg/07_Juli_2020.pdf
Schmerzen: Geschlechtsspezifische Unterschiede schon im Rückenmark. Neuronen im Rückenmark reagieren bei Frauen und Männern unterschiedlich; https://www.scinexx.de/news/medizin/schmerzen-geschlechtsspezifische-unterschiede-schon-im-rueckenmark/; Quelle: Sexual dimorphism in a neuronal mechanism of spinal hyperexcitability across rodent and human models of pathological pain, Brain, Volume 145, Issue 3, March 2022, Pages 1124–1138, https://doi.org/10.1093/brain/awab408, Published: 23 March 2022
9 s. WDR-Doku (Quelle 1) ab 33:22
10 12. Arzneimittelgesetz-Novelle (2004) und EU-Verordnung Nr. 536/2014
11 Erfassung von Geschlecht und anderen Diversitätsbereichen in Deutschland, in: Diversified Innovations in the Health Sciences: Proposal for a Diversity Minimal Item Set (DiMIS), Deutsche Fassung ab S.39 (PDF): https://psyarxiv.com/bjyms/download
12 Pressemitteilung der pronova BKK v. 1.3.2022: https://www.pronovabkk.de/presse/pressemitteilungen/studie-deutsche-wuenschen-sich-beachtung-von-genderunterschieden-in-der-medizin.html
13 Mehr Fortschritt wagen, Koalitionsvertrag 2021-2025 zwischen SPD, Bündnis90/Die Grünen und FDP