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Patentschutz

Patentfreigabe auf Impfstoffe – eine Lösung für eine bessere Versorgung der Weltbevölkerung?

Von Henning Zander

Im Hintergrund ein Mensch, der mit einer Hand seinen Hemdärmel hochkrempelt. Im Vordergrund eine Person mit blauer Schutzkleidung, mit Handschuhen, die mit einer Spritze gegen Covid-19 impft.

Die Versorgung mit Impfstoffen gegen Covid-19 ist extrem ungleich verteilt. Nur zehn Länder haben mehr als 75 Prozent der Impfdosen verimpft. Schon im Oktober 2020 haben Südafrika und Indien beantragt, die Patente auf diese Impfstoffe weltweit freizugeben. Ob dies dazu führt, dass die Weltbevölkerung besser versorgt wird, ist stark umstritten. Wir haben die Fakten für Sie zusammengetragen.

Wie ungleich ist die Versorgung der Weltbevölkerung?

Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO)[1]WHO, Director-General’s opening remarks at the World Health Assembly – 24 May 2021, … Continue reading hat sich eine kleine Gruppe von zehn Ländern rund 75 Prozent der weltweit vorhandenen Covid-19-Vakzine gesichert. In Deutschland sind im September 2021 über 60 Prozent der Bevölkerung bereits vollständig geimpft[2]Impfdashboard des Bundesgesundheitsministeriums, aufgerufen am 9. September 2021, https://impfdashboard.de (den aktuellen Stand der Impfkampagne in Deutschland finden Sie hier). Auf dem afrikanischen Kontinent hingegen hat in vielen Ländern die Impfkampagne bis dahin noch nicht einmal begonnen. In Tansania liegt die Impfquote bei 0,5 Prozent, in Nigeria bei 1,6 Prozent.[3]Our World in Data, aufgerufen am 9.9.2021, https://ourworldindata.org/covid-vaccinations Die Internationale Impfallianz Covax hat es sich zur Aufgabe gemacht, Impfdosen in ärmeren Ländern zu verteilen. Bis September 2021 wurden 243 Millionen Covid-19-Impfdosen an 139 teilnehmende Länder verschickt.[4]Impfallianz Gavi, aufgerufen am 9.9.2021, https://www.gavi.org/covax-facility Zum Vergleich: Allein in Deutschland wurden bis September 2021 über 103 Millionen Impfdosen[5]Impfdashboard des Bundesgesundheitsministeriums, aufgerufen am 9. September 2021, https://impfdashboard.de/ verimpft.

Was ist das TRIPS-Abkommen?

TRIPS[6]WHO, TRIPS Originaltext, aufgerufen am 9.9.2021, https://www.wto.org/english/docs_e/legal_e/27-trips_01_e.htm (Agreement on Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights) ist ein internationales Übereinkommen mit dem Ziel, die Rechte des geistigen Eigentums zu regeln. Dazu zählen unter anderem Urheberrechte, Markenrechte und Patentrechte. Das TRIPS formuliert dafür Minimalbedingungen, die alle Mitgliedsländer erfüllen müssen. Ziel ist die Förderung eines effektiven und angemessenen Schutzes des geistigen Eigentums.[7]Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Das TRIPs-Abkommen (Abkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums), aufgerufen am 9.9.2021, … Continue reading

Warum haben Südafrika und Indien die Freigabe der Patente bei der TRIPS-Kommission beantragt?

Am 2. Oktober 2020 haben Indien und Südafrika bei der TRIPS-Kommission beantragt, das TRIPS Abkommen zeitweilig für alle Produkte, die zur Vorbeugung, Eindämmung und Behandlung von Covid-19 notwendig sind, den Patentschutz auszusetzen (TRIPS communication IP/C/W/669 [8]Waiver from certain provisions of the TRIPS agreement for the prevention, containment and treatment of COVID-19, vom 2. Oktober 2020, … Continue reading). Dies begründen die beiden Länder damit, dass der Patentschutz potenziell hinderlich dabei sein kann, Patientinnen und Patienten zeitnah finanzierbare medizinische Produkte zur Verfügung zu stellen. Eine solche Maßnahme nennt sich TRIPS-Waiver[9]European Parliament, At Glance: World Trade Oranization TRIPS waiver to tackle coronavirus, https://www.europarl.europa.eu/RegData/etudes/ATAG/2021/690649/EPRS_ATA(2021)690649_EN.pdf. Die rasche Ausweitung der Produktion auf globaler Ebene sei eine offensichtliche und entscheidende Lösung, um die rechtzeitige Verfügbarkeit und Erschwinglichkeit medizinischer Produkte für alle bedürftigen Länder sicherzustellen.

Was bedeutet die Freigabe der Patente durch den TRIPS-Waiver?

Schwarz-Weiß-Portrait von Dr. Axel Metzger, Professor für Bürgerliches Recht und Immaterialgüterrecht, Berliner Humboldt-Universität. Ein Mann mit kurzen Haaren schaut leicht schräg in die Kamera. Er trägt ein Jacket, Hemd, keine Krawatte.

Die Freigabe der Patente durch den TRIPS-Waiver wäre weltweit und nicht auf bedürftige Länder beschränkt. Jedes Unternehmen, das die Patente nutzen möchte, könnte dies dann tun. „Internationale Pharmariesen würden es sich dann überlegen, ob sie Biontech oder Curevac noch Geld für die Lizenzen bezahlen, wenn sie die Patente auch so nutzen dürfen“, sagt Axel Metzger, Professor für Bürgerliches Recht und Immaterialgüterrecht an der Berliner Humboldt-Universität. Metzger wurde als Sachverständiger zur Frage der Freigabe des Patentschutzes vom Gesundheitsausschuss des Bundestags angehört[10]Prof. Dr. Axel Metzger, Anhörung als Sachverständiger – Sitzung vom 24.2.2021 – Stellungnahme -, … Continue reading. „Eine solche Maßnahme würde die Position der forschenden Pharmahersteller untergraben“, stellt Metzger fest. Betroffen seien nicht nur global agierende Konzerne, sondern auch Mittelständler aus Deutschland. „Ohne Patente und sichere Verträge würden und könnten sie sich gar nicht mit Riesen wie Pfizer zusammentun.“

Gibt es keine andere Möglichkeit, im Notfall den Patentschutz zu lockern?

Das TRIPS-Abkommen erlaubt im Notfall Zwangslizenzen und Benutzungsordnungen. In Deutschland sind diese in § 24 Patentgesetz (Zwangslizenz)und § 13 Patentgesetz (Benutzungsanordnung)  geregelt. Die Zwangslizenz ist ein Anspruch eines produzierenden Unternehmens. Wenn dieses Unternehmen ein Arzneimittel oder einen Impfstoff herstellen könnte, es aber dadurch gehindert wird, dass die Patente nicht freigegeben werden, dann kann es unter Umständen gerichtlich eine Zwangslizenz durchsetzen. Voraussetzung ist die erfolglose Nachfrage, ein berechtigtes öffentliches Interesse und eine Vergütung der Lizenz. Die Benutzungsanordnung hingegen wird vom Staat erlassen, wenn klar ist, dass anders zum Beispiel nicht genügend Medikamente oder Impfstoff produziert werden können.

Solche Möglichkeiten gibt es auch in Indien und in vielen anderen Staaten, die sich jetzt für die Freigabe der Patente einsetzen. „Das TRIPS-Abkommen billigt allen Ländern solche Notstandsregelungen zu“, sagt Axel Metzger. „Jedes Mitgliedsland kann dies nutzen und Zwangslizenzen vergeben oder Benutzungsanordnungen aussprechen.“

Warum fordern Länder wie Südafrika und Indien trotzdem die globale Freigabe des Patentsch

„Man muss bedenken, dass nicht alle Länder dieselben Verfahren und Rechtsregeln haben wie wir in Deutschland“, sagt Axel Metzger. Es kann also sein, dass es sehr lange dauert, die Ansprüche durchzusetzen. „Eine Freigabe der Patente könnte hier unter Umständen dazu führen, dass die Nutzung der patentierten Technologie unbürokratischer und schneller erfolgen kann.“ Neben diesem Grund gebe es auch eine grundsätzliche Patentskepsis in vielen Ländern. „Die Erfahrung hat viele Länder gelehrt, das Patente der nördlichen Staaten zum Beispiel den Kampf gegen HIV/AIDS behindert haben. Diese Erfahrungen werden jetzt auf die aktuelle Situation bezogen“, sagt Metzger.

Tatsächlich waren über viele Jahre AIDS-Medikamente für viele afrikanische Länder unerschwinglich. Erst mit der Freigabe der Patente konnte die Produktion von Generika beginnen. Diese kosten zum Teil weniger als ein Zehntel des Originalpräparats.[11]Deutsche Welle (DW), Afrika erhält preiswertes HIV-Medikament, https://www.dw.com/de/afrika-erh%C3%A4lt-preiswertes-hiv-medikament/a-39465708Als dritten Grund sieht Metzger, dass die aktuelle Debatte auch von eigenen Versäumnissen wie der schlechten Organisation des Rechts- und Gesundheitswesens ablenkt.

Warum fordern Länder wie Südafrika und Indien trotzdem die globale Freigabe des Patentschutzes?

„Man muss bedenken, dass nicht alle Länder dieselben Verfahren und Rechtsregeln haben wie wir in Deutschland“, sagt Axel Metzger. Es kann also sein, dass es sehr lange dauert, die Ansprüche durchzusetzen. „Eine Freigabe der Patente könnte hier unter Umständen dazu führen, dass die Nutzung der patentierten Technologie unbürokratischer und schneller erfolgen kann.“ Neben diesem Grund gebe es auch eine grundsätzliche Patentskepsis in vielen Ländern. „Die Erfahrung hat viele Länder gelehrt, das Patente der nördlichen Staaten zum Beispiel den Kampf gegen HIV/AIDS behindert haben. Diese Erfahrungen werden jetzt auf die aktuelle Situation bezogen“, sagt Metzger.

Tatsächlich waren über viele Jahre AIDS-Medikamente für viele afrikanische Länder unerschwinglich. Erst mit der Freigabe der Patente konnte die Produktion von Generika beginnen.  Diese kosten zum Teil weniger als ein Zehntel des Originalpräparats.[12]Deutsche Welle (DW), Afrika erhält preiswertes HIV-Medikament, https://www.dw.com/de/afrika-erh%C3%A4lt-preiswertes-hiv-medikament/a-39465708Als dritten Grund sieht Metzger, dass die aktuelle Debatte auch von eigenen Versäumnissen wie der schlechten Organisation des Rechts- und Gesundheitswesens ablenkt.

Würde eine Freigabe des Patentschutzes ausreichen, dass diese Länder mit der Produktion starten können?

Dass die Freigabe des Patentschutzes ausreicht, damit diese Länder mit der Produktion starten können, ist zweifelhaft. Dagegen sprechen sowohl rechtliche als auch faktische Gründe. Rechtlich sind Impfstoffe durch sehr viel mehr Rechte geschützt als allein Patente. Zum einen gibt es Urheberrechte, etwa auf die Software, die gebraucht wird, um die entsprechenden Maschinen zu steuern. Zum anderen gibt es Geschäftsgeheimnisse, das sind etwa die Abläufe in der Produktion aber auch Daten, die der Produktion zugrunde liegen, zum Beispiel die Auswertungen der Patientenstudien.

Faktisch spricht dagegen, dass nur wenige Länder überhaupt über die Produktionskapazitäten und die Mitarbeiter verfügen, theoretisch den Impfstoff herzustellen. Der afrikanische Kontinent etwa importiert 99 Prozent seiner Impfstoffe. Lediglich ein Prozent wird selbst produziert[13]African Vaccine Manufacturers Initiative, Establishing sustainable vaccine development and manufacturing in Africa, S. 3, https://dcvmn.net/IMG/pdf/26th_wiliam.pdf. Nur sieben afrikanische Länder haben derzeit Unternehmen, die Impfstoff produzieren oder abfüllen wie eine Studie des Tony Blair Institute for Global Chang[14]Tony Blair Institute for Global Change,(2021) Vaccine Manufacturing in Africa: What It Takes and Why It Matters, … Continue reading darstellt.

„Man bekommt durch die Freigabe der Patente nicht das Know-how für die Produktion“, stellt Axel Metzger fest. Ganz im Gegenteil würden Unternehmen, die von Zwangslizenzen betroffen sind, erst recht sehr vorsichtig sein und ihr Wissen zurückhalten – die Kooperation wird dadurch schwieriger. „Technologietransfer kann nicht erzwungen werden.“

Was wäre die Alternative?

„Es ist jetzt die Verpflichtung der nördlichen Staaten, beim Technologietransfer zu helfen. Sie müssen ihre Versprechen einhalten und Länder, die das nicht selbst können, dazu ertüchtigen, die Produktion selbst in die Hand zu nehmen“, sagt Metzger. Das gehe nur in Kooperation mit den Unternehmen, die die Prozesse beherrschen. Diese würden sich allerdings nie beteiligen, wenn ihnen nicht die Rechtssicherheit ihrer Patente garantiert würde. „Das wäre aus ihrer Sicht verrückt.“ Tatsächlich gibt es inzwischen immer mehr Partnerschaften. So haben etwa Biontech und Pfizer im Juli 2021 die Zusammenarbeit mit dem südafrikanischen Hersteller Biovac vereinbart. Biovac soll im kommenden Jahr mit der Herstellung des Impfstoffs beginnen. Jährlich sollen es dann mehr als 100 Millionen Dosen sein.[15]Maike Telgheder, (2021) Von Marburg nach Kapstadt: Biontech-Impfstoff wird bald auch in Afrika abgefüllt, in: Handelsblatt, … Continue reading

Titel: Adobe Stock/407154181//blueblueaperture15
Foto: Dr. Axel Metzger/Irina Rupert

Quellen:

Quellen:
1 WHO, Director-General’s opening remarks at the World Health Assembly – 24 May 2021, https://www.who.int/director-general/speeches/detail/director-general-s-opening-remarks-at-the-world-health-assembly—24-may-2021
2 Impfdashboard des Bundesgesundheitsministeriums, aufgerufen am 9. September 2021, https://impfdashboard.de
3 Our World in Data, aufgerufen am 9.9.2021, https://ourworldindata.org/covid-vaccinations
4 Impfallianz Gavi, aufgerufen am 9.9.2021, https://www.gavi.org/covax-facility
5 Impfdashboard des Bundesgesundheitsministeriums, aufgerufen am 9. September 2021, https://impfdashboard.de/
6 WHO, TRIPS Originaltext, aufgerufen am 9.9.2021, https://www.wto.org/english/docs_e/legal_e/27-trips_01_e.htm
7 Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Das TRIPs-Abkommen (Abkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums), aufgerufen am 9.9.2021, https://www.gewrs.de/cip-publikationen/trips-abkommen
8 Waiver from certain provisions of the TRIPS agreement for the prevention, containment and treatment of COVID-19, vom 2. Oktober 2020, https://docs.wto.org/dol2fe/Pages/SS/directdoc.aspx?filename=q:/IP/C/W669.pdf&Open=True
9 European Parliament, At Glance: World Trade Oranization TRIPS waiver to tackle coronavirus, https://www.europarl.europa.eu/RegData/etudes/ATAG/2021/690649/EPRS_ATA(2021)690649_EN.pdf
10 Prof. Dr. Axel Metzger, Anhörung als Sachverständiger – Sitzung vom 24.2.2021 – Stellungnahme -, https://www.bundestag.de/resource/blob/823658/bf4484c0e56ddced0c112798cc94d3f1/Stellungnahme-A-Metzger-AGS-24-2-2021-data.pdf , Anhörung als Sachverständiger – Sitzung vom 16.2.2022 – Stellungnahme -, https://www.bundestag.de/resource/blob/880864/713453b0a7e1a018d0d653221af7efbb/20_14_0006-2-_ESV-Prof-Dr-Metzger_Stellungnahme-Impfpatente_nicht-barrierefrei-data.pdf
11, 12 Deutsche Welle (DW), Afrika erhält preiswertes HIV-Medikament, https://www.dw.com/de/afrika-erh%C3%A4lt-preiswertes-hiv-medikament/a-39465708
13 African Vaccine Manufacturers Initiative, Establishing sustainable vaccine development and manufacturing in Africa, S. 3, https://dcvmn.net/IMG/pdf/26th_wiliam.pdf
14 Tony Blair Institute for Global Change,(2021) Vaccine Manufacturing in Africa: What It Takes and Why It Matters, https://institute.global/advisory/vaccine-manufacturing-africa-what-it-takes-and-why-it-matters
15 Maike Telgheder, (2021) Von Marburg nach Kapstadt: Biontech-Impfstoff wird bald auch in Afrika abgefüllt, in: Handelsblatt, https://www.handelsblatt.com/technik/medizin/corona-vakzin-von-marburg-nach-kapstadt-biontech-impfstoff-wird-bald-auch-in-afrika-abgefuellt/27440788.html?ticket=ST-2790831-irNLw7RVqTNaSANlHUfG-ap6